Der Wodu

Wodu – eine Welt von Göttern und Symbolen

Wenn man von Wodu spricht, denken viele spontan an Darstellungen in Hollywoodfilmen mit Trance-Szenen, Zombies und Puppen, die mit Nadeln durchbohrt sind, aber nicht an eine Lebensphilosophie, die von Millionen Menschen in der Welt geteilt wird.

Den Wodu gibt es überall, nicht nur in Westafrika, wo er herstammt, sondern – von den afrikanischen Sklaven mitgebracht – auch in Nordamerika, Südamerika und in der Karibik und dank der Migrationsströme des 20. Jh. auch in Europa. Der Wodu ist Religion und Lebensphilosophie zugleich und umfasst eine Vielfalt von Glaubensrichtungen und Praktiken.


Im Wodu bilden das Diesseits und das Jenseits ein Ganzes. Das Schicksal des Menschen ist aufs Engste mit der unsichtbaren Welt verbunden, in der Vorfahren, Geister, Götter und Kräfte leben, die das Leben der Menschen auf Erden beeinflussen. Jede Wodu-Geschichte hat ihren Ursprung in einem schicksalhaften Ereignis : Krisen, Krankheiten und Todesfälle, Kriege und sonstige Katastrophen finden ihre Erklärung in dieser parallelen Welt. Im Wodu findet man eine Antwort auf widrige Ereignisse, sei es eine verpatzte Prüfung oder ein gewaltsamer Tod – es wird in jedem Fall als eine Botschaft aus dem Jenseits verstanden. Mit Hilfe der Fa-Wahrsagung wird der Mensch in die Lage versetzt, mit der großen Familie der Wodu-Götter (man schätzt ihre Anzahl auf 300) Verbindung aufzunehmen. Diese Götter können genau wie die Menschen verschlagen, zornig, eifersüchtig, eitel und eingebildet sein. Kurz, sie sind in all diesen Eigenschaften ein Spiegelbild der Menschen.


Die Kommunikation mit der unsichtbaren Welt geschieht mit Hilfe von Ritualen, Musik, Tänzen und Gegenständen. Holzfiguren, Päckchen, Masken, Stöcke, Hörner oder Flaschen, die mit Kräutern gefüllt sind, verfremdete Küchengeräte, Bündel aus undefinierbaren Stoffen, zusammengenähte, aufgereihte oder sonst wie verbundene Teile, wie sie uns die Sammlung von Marc Arbogast vor Augen führt, erzählen uns persönliche und kollektive Geschichten über das Leben der Menschen früher und heute. Die Sammlung ist über einen Zeitraum von dreissig Jahren entstanden und umfasst heute nahezu tausend Objekte aus Nigeria, Benin, Togo und Ghana, die auf wundersame Weise ihren Weg in das Wodu-Museum in Strassburg gefunden haben.

 

Geografische Verbreitung des Wodu

 

Der Wodu ist aus den Kultformen Yoruba, Fon und Ewe hervorgegangen. In der uns heute bekannten Form hat er sich um das 17. Jh. mit der Gründung und Expansion des Fon-Königreiches von Abomey herausgebildet. Er wurde zum Fundament der Adja-Tado-Kultur, die aus diversen Migrationsströmen entstanden ist.

Der Adja-Tado-Kulturraum erstreckte sich vom Ouémé-Fluss im Osten bis zum Volta im Westen und der sog. Sklavenküste im Süden und umfasste eine Region von 200 bis 300 km zwischen dem Nullmeridian und dem 3. Längengrad im Zentrum der sudanesischen Savanne.

Die Bevölkerung dieses Kulturraums setzt sich mehrheitlich aus folgenden ethnischen Gruppen zusammen:

• den ADJA (AJA) im Raum zwischen dem Yoto in Togo und Couffo in Benin
• den EVE (EWE) zwischen dem Volta und dem Yoto
• den FON (FON) zwischen Ouémé und Couffo
• den GUIN (GÊ) entlang der sog. Sklavenküste
• den XWLA und den XWEDA in etwa demselben Bereich wie die Gê
• den GOUN (GUN) hauptsächlich in der Stadt Porto-Novo und Umgebung
• den AÏZO (AYIZO) am Nokwe-See, in der Region Allada und Umgebung
• den SAHWE auf der schwarzen Erde des Ko in der Gegend um Bopa.

Während der Herrschaft des Königs Agadja (1708-1740), nach der Eroberung von Allada (1724) und Ouidah (1727), breitete sich Dahomey nach Süden in Richtung Atlantikküste aus. Sein Einflussbereich erstreckte sich von den Grenzen des Oyo-Reiches (Nigeria) bis zu denen des Königreiches Ashanti (Ghana).

Dieser Teil Afrikas hatte Berührungspunkte mit den Kulturen Europas und Nordafrikas, woraus sich erklärt, dass der Wodu Elemente des Christentums, des Islam und des Judentums übernommen hat.
Von Anfang an ist der Wodu eine umfassende Religion gewesen, in der die zahlreichen Facetten der Völker, die sich zu ihr bekannten, verschmolzen.

 

Herkunft des Begriffs « Wodu »

Das Entstehen unterschiedlicher Schreibweisen – Vodou, Vaudou, Vodoun, Voudou, und Voodoo – erklärt sich wahrscheinlich aus der mangelhaften Aussprache und fehlerhaften Schreibweise der Kolonialherren.

Der ursprüngliche Begriff ist « Vodoun » und bedeutet in der Fon-Sprache « was nicht erklärt werden kann, die wirkende Kraft », also das Unsichtbare.

Das religiöse Gebäude des Wodu wird getragen von dem Glauben an eine Welt, die das menschliche Fassungsvermögen übersteigt. In dieser namenlosen Welt zeichnet sich ein alles beherrschendes Doppelwesen ab – Mawu/Lisa -, das sich in unerreichbarer Ferne aufhält.

Bezeichnenderweise ist es vor allem der weibliche, also der fruchtbare Teil, Mawu, über den berichtet wird, und nicht so sehr der männliche Teil, Lisa. Dieses Prinzip eines höheren Wesens lässt sich auch nicht ohne Weiteres mit einem Weltschöpfer nach westlichem Verständnis vergleichen.

In den Legenden sind Mawu und Lisa lediglich die Eltern der ersten « Vodoun », der Gottheiten, welche die Elemente beherrschen und für das Funktionieren des Geistes Sorge tragen. Ihre Rolle scheint auf diese Funktion beschränkt zu sein; mit der komplexen Frage der Schöpfung befasst sich die Wodu-Theologie nicht.

Überhaupt scheint die Götterwelt in eine Vielzahl von Zuständigkeiten aufgespalten zu sein. In der Tat gibt es neben Mawu/Lisa noch Fa, das Wort und der Sinn, und Gbadu, das absolute Wissen. Diese beiden Wesen, die eigentlich aus Mawu und Lisa hervorgegangen sind, werden in einigen Legenden als deren Vorfahren, ja sogar als deren Erzeuger angesehen. Dieser Widerspruch erklärt sich aus der Tatsache, dass Fa aus einer anderen Philosophie stammt und als Gottheit in die Wodu-Religion übernommen worden ist.

 

(Auszug aus dem Buch La Fabrique de Dieux von René de Beaumont, demnächst im Handel.)

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