Im Licht der Unsichtbaren: die Sammlung ohne Vorhang
Sonderausstellung vom 16. Oktober 2025 bis zum 22. Juni 2026
In einem Museum gibt es vom ausgestellten bis zum aufbewahrten Objekt nur einen Ort der Ausstellung.
Nach einer umfassenden Neuorganisation seines Depots gewährt das Château Musée Vodou nun einen Blick hinter seine Kulissen.
MuseumsDepote sind häufig unzugänglich und werden als Lagerräume wahrgenommen. Doch in Wahrheit sind sie das lebendige Herzstück der Museen. Sie erlauben die Aufbewahrung, Erforschung und Weitergabe von Objekten.
Sie beinhalten durchschnittlich mehr als 85 % der Objekte einer Sammlung, die als „zu empfindlich“, „außerhalb des Themas“ oder „weitere Informationen benötigend“ eingestuft werden.
Mit dieser neuen Ausstellung möchte das Museumsteam die Grundsätze der Denkmalpflege, der technischen Einschränkungen des Depots, die entscheidende Rolle der Bestandsaufnahme sowie die ethischen Herausforderungen und Kontroversen rund um die Praktiken des Museums thematisieren.
Was ist die Rolle eines Museums? Woher stammt die Sammlung des Château Musée Vodou? Wie bewahrt man Objekte aus organischen Materialien auf, die zum Teil schnell vergehen und mitunter heilig sind? Und wie kann man über diese Objekte sprechen? Welchen Anteil nimmt das Unsichtbare ein, das wir mit uns tragen – selbst im Museum? Was kann man aufbewahren und für wie lange? Kann man alle Objekte zeigen? Und wem gehören sie letztendlich? Wie lassen sich strenge Museumsstandards und ökologische Anforderungen miteinander vereinbaren?
Anhand der Geschichte der Arbogast-Sammlung tauchen wir in die Geografie und die Geschichte des Wodu ein. Jedes Objekt erzählt eine komplexe Geschichte zwischen lebendigen Praktiken, westlichen und afrikanischen Sichtweisen sowie museumskundlichen Entscheidungen.
Im Laufe des Rundgangs laden wir die Besucher*Innen dazu ein, die grundsätzliche Aufgabe des Museums zu hinterfragen. Denn Schützen, Interpretieren und Ausstellen sind keine neutralen Aufgaben. Sie sind eine Verpflichtung und manchmal auch ein Dilemma. Als selbstfinanziertes Vereinsmuseum steht das Château Musée Vodou zu seiner Einzigartigkeit: Die Bewahrung einer reichen Fülle der kollektiven Erinnerung, ein zerbrechliches Erbe lebendiger Kulturen, in einem denkmalgeschützten Gebäude mit begrenzten Mitteln.
„Sichtbarmachung der Unsichtbaren“ ist gleichzeitig eine Ausstellung, eine Untersuchung und eine Einladung zum gemeinsamen Nachdenken über den Platz, den wir dem kulturellen Erbe einräumen – heute und in der Zukunft.
Adeline Beck
Das Ausstellungsteam
Sammler: Marie-Luce und Marc Arbogast
Ausstellungsgestaltung: Adeline Beck
Szenographie: Ana-Carolina Gonzalez Palacios
Wissenschaftliche Redaktion: Elise Matt-Gehringer, Catherine Elsensohn, Jean-Yves Anézo, Adeline Beck, Kéfil Houssou, Ana-Carolina Gonzalez Palacios, Alice Niemi, Michaël Mailfert, Maria Hirica
Zusammenstellung der Sammlung und Neugestaltung des Depots:
Katia-Myriam Borth-Arnold, Catherine Elsensohn, Adeline Beck, Ana-Carolina Gonzalez Palacios, Alice Niemi, Maria Hirica, Pascal Beck, Taner Tasar, Loïc Anézo, Evelyne Beck, Iyad Chambet, Jade Schreckenberg, Natalia Lorena Cocis.
Podcast: Kawati Studios
Unterstützer des Projekts:
Compagnons du devoir, Fondation du patrimoine du Crédit Agricole, Société des Amis des Arts et des Musées de Strasbourg, EFH destination Strasbourg, Crédit Mutuel, Maison Klein, Eurométropole de Strasbourg J. Gérard, D. Gehringer, F. Undreiner, G. Jean-Charles, S. Freyzs.
Vorwort des Sammlers
Ich bin sehr froh über die Entscheidung des Teams des Château Musée Vodou, mit dieser Ausstellung die Bedeutung und die Funktion eines Museums zu beleuchten. Das Ziel des Teams ist es, die Konservierungsarbeit hervorzuheben, indem es unser Depot der Öffentlichkeit zugänglich macht, was äußerst selten vorkommt.
Seit jeher bildet die Sammlung kultureller Objekte eine Brücke zwischen den Völkern, die gegenseitiges Verständnis und interkulturellen Dialog ermöglicht. Trotzdem ist es unbestreitbar, dass bestimmte Objekte, die in der Vergangenheit dazu bestimmt waren, verehrt oder in Ritualen verwendet zu werden, heute zu Sammlerstücken geworden sind und manchmal zu Gründen für Spekulationen. Die Öffentlichkeit hat nur noch begrenzten oder kommerzialisierten Zugang. Diese Spannung wirft grundlegende Fragen bezüglich des Wertes, der Rückgabe sowie der Erhaltung von kulturellem Erbe auf.
Die Vorgehensweise von Marie-Luce und mir ist Teil dieser Überlegungen. Wir haben eine einzigartige Sammlung von Wodu-Objekten zusammengestellt, und zwar nicht aus Profitgier, sondern aufgrund des ehrlichen Willens, den Reichtum dieser Kultur zu verstehen, zu lieben und weiterzugeben. Diese Objekte, die oft dazu bestimmt waren, in Vergessenheit zu geraten oder zerstört zu werden, waren für uns eine Schule des Lernens, ein künstlerischer Ausdruck sowie ein Träger sozialer, religiöser und ökologischer Geschichte.
Die Sammeltätigkeit wurde mit Respekt und Integrität durchgeführt: Jeder Kauf war freiwillig, der geforderte Preis wurde gezahlt, ohne Zwang oder Spekulation und kein einziges unserer Stücke wurde jemals weiterverkauft. Wenn Fehler oder Kopien entdeckt wurden, wurden diese nicht in die Sammlung aufgenommen, was unser Engagement für die Wahrung der Authentizität bezeugt. Unser Ziel war niemals Gewinn, sondern Bildung und Respekt für diese Kulturen.
Außerdem wollten wir mit dieser Sammlung eine schriftliche Spur hinterlassen und die religiöse, soziale und ökologische Bedeutung des Wodu tiefgreifend dokumentieren, um so zu einer besseren Anerkennung dieser oft missverstandenen Religion beizutragen. Wir haben versucht, diese Tradition in ihrer Komplexität zu respektieren und zu würdigen, indem wir an Zeremonien teilgenommen und mit Experten und unserem Team zusammengearbeitet haben. Die neuere Geschichte dieser Sammlung, die nach 1974 zusammengetragen wurde, steht im Einklang mit der Welterbekonvention der UNESCO. Das bestärkt unsere Überzeugung, dass es sich bei diesem Projekt weder um Raub noch um die Pflicht zur Rückgabe handelt, sondern vielmehr um einen Beitrag zur Aufwertung eines Kulturerbes. Die Anerkennung der Regierung von Benin – insbesondere im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Museum von Porto-Novo – beweist die Glaubwürdigkeit und die Legitimität unseres Engagements.
Das Ziel dieser Ausstellung ist es, den Reichtum des Wodu zu entdecken und wertzuschätzen, indem die Bedeutung dieser Kultur in der Geschichte, der sozialen Organisation, der Heilkunde und der Ökologie der Region unterstrichen wird. Es handelt sich um mehr als eine einfache Sammlung von Objekten. Stattdessen geht es um eine Botschaft der Offenheit, des Respekts und der Anerkennung gegenüber einer jahrtausendealten Tradition, deren Einfluss weit über die Grenzen Westafrikas hinausreicht.
M. Arbogast
große Übersichtstafeln
I – „Museen sind die lebendigsten Orte der Welt. Man könnte sagen, sie sind eine Ansammlung von Menschen.” Fernand Ouellette
Seit der Gründung des Louvre Ende des 18. Jahrhunderts hören Museen nicht auf, sich neu zu erfinden. Ihre Rolle geht weit über die Ausstellung von Werken hinaus: Sie kümmern sich um ein Erbe, das allen gehört. Sie bewahren es auf, erforschen es, geben es weiter und machen es zugänglich. Heutzutage wird diese Aufgabe durch neue Dimensionen bereichert, die Forschung, kulturelle Vermittlung und Zugang für so viele Menschen wie möglich vereinen.
Auf internationaler Ebene definiert der Internationale Museumsrat (ICOM) das Museum als dauerhafte und inklusive Institution im Dienst der Gesellschaft. In Frankreich regelt das Kulturerbegesetz die Funktionen eines Museums und erinnert daran, dass ein Museum auch die Aufgabe hat, den Besuchern Wissen zu vermitteln und sie zu unterhalten. Hier unterscheidet sich das Château Musée Vodou von anderen Museen. Als Museum, das von einem Verein verwaltet und maßgeblich von seinen Besuchern und Förderern finanziert wird, versucht es, diese Aufgaben voll und ganz zu erfüllen und gleichzeitig ein einzigartiges Erbe aufzuwerten: Die Arbogast-Sammlung, die dem Wodu gewidmet ist.
Die ständige Ausstellung „Wodu, der etwas andere Blick auf die Dinge“ zeigt 220 Stücke, aber mehr als 1200 Objekte ruhen in unserem Depot, das vollständig neugestaltet wird. Depots sind weit davon entfernt, nur einfache Aufbewahrungsorte zu sein. Sie sind das lebendige Herzstück der Museen: Dort werden Sammlungen aufbewahrt, erforscht und dokumentiert und dort werden sie für zukünftige Ausstellungen vorbereitet. Außerdem schützt man dort empfindliche Werke für kommende Generationen.
So verbindet das Château Musée Vodou Aufbewahrung und Weitergabe, Wissen und Emotionen, indem es jedem die einzigartige Möglichkeit gibt, ein seltenes Erbe und einen Zeugen von Kulturen kennenzulernen, die auch heute noch Anklang finden.
II – „Glücklich, wem es gelang, den Grund der Dinge zu erkennen”
Vergil
Das kulturelle Gebiet Adja-Tado zwischen Ghana, Togo, Benin und Nigeria gilt als historische Wiege des afrikanischen Wodu. Diese Kultur stammt aus dem heiligen Königreich Tado, das im 11. Jahrhundert gegründet wurde. Sie konnte sich dank Migration, der Gründung von Königreichen wie Allada, Ouidah, Dahomey oder Porto-Novo und dem ständigen Austausch mit benachbarten Bevölkerungsgruppen entfalten. Als Kult von Naturgeistern und göttlichen Vorfahren hat sich Wodu immer flexibel gezeigt, indem er Einflüsse der Yoruba und lokale Neugestaltungen mit einbezieht. Ab dem 16. Jahrhundert überquerte der Wodu durch den Sklavenhandel den Atlantik. Dadurch entstanden neue Formen wie der Vaudou in Haiti, Santería oder Candomblé, während der Wodu eine lebendige Tradition bleibt.
Die Arbogast-Sammlung ist Teil dieser komplexen Geschichte. Sie wurde ab den 1970er Jahren zusammengetragen und stammt aus den Jagdreisen von Marc Arbogast sowie Begegnungen mit Wodu-Priestern in Nigeria. Die gesammelten Stücke haben verschiedene Ursprünge: Objekte, die vor mit der Christianisierung zusammenhängenden Zerstörung gerettet wurden, Käufe bei Hounon und Bokonon, Tausche zwischen Sammlern oder in neuerer Zeit Spenden von Familien aus Benin und Togo. Doch es bleibt schwierig, die Herkunft jedes Objektes mit Sicherheit nachzuvollziehen: Diese langwierige und kostenintensive Forschung geht schrittweise voran. Außerdem bemüht sich das Museumsteam, eine mündliche Kultur darzustellen, die mehr als zehn Sprachen umfasst, was die Forschung und Übersetzung für die Vermittlung schwer macht.
III – Gekreuzte Blicke
Die Sammlung des Museums wirft bei unseren Besuchern regelmäßig Fragen auf, und zwar aus mehreren eng miteinander verbundenen Gründen. Tatsächlich stellt sie eine andere Weltanschauung dar, die mit komplexen, tiefgründigen Themen verbunden ist, die das Innerste berühren: Spiritualität, Magie, Heilkunde, die Geschichte des Sklavenhandels… Aber unsere Objekte machen die Menschen auch aufgrund ihrer Natur neugierig: Da sie schwer einzuordnen sind, können sie anhand verschiedener Perspektiven interpretiert werden: Die der Religiongeschichte, der Kunstgeschichte, der Anthropologie oder des Gläubigen… Letztlich verwirren diese Objekte die Menschen, weil sie schwer zu verstehen sind: Sie sind weder Göttheiten im engeren Sinne noch einfache Objekte. Vor allem sind sie Sammelbecken für die Kräfte, die es erlauben, mit der unsichtbaren Welt in Kontakt zu treten.
Aus diesem Grund bringt die Sammlung Menschen auf natürliche Weise dazu, die Herkunft und die Heiligkeit dieser Artefakte zu überdenken, aber gleichzeitig auch die Rolle eines Museums als Ort des interkulturellen Dialogs und der Vermittlung.
Die aktuellen Debatten um die Rückgabe von Objekten, die aus ihrem ursprünglichen Kontext entfernt wurden, unterstreichen die Komplexität dieses Themas. Sie umfassen historische, politische und symbolische Dimensionen und hinterfragen den Zugang zum Kulturerbe, die Konservierungsbestimmungen und die Legitimität der Empfänger. In diesem Zusammenhang kann ein und dasselbe Objekt als Kunstwerk, rituelles Zeugnis oder lebendiges Wesen verstanden werden. Obwohl es von internationalen diplomatischen Spannungen weit entfernt ist, nimmt das Château Musée Vodou in Straßburg voll und ganz an diesen Überlegungen teil.
Seine Objekte, die aus tierischen, pflanzlichen, mineralischen und manchmal menschlichen Materialien bestehen, haben Ablagerungen von Opfergaben, die sie zu „lebendigen“ und sich entwickelnden Objekten machen. Wenn sie ins Museum kommen, erstarren diese Objekte, was materielle, ethische und spirituelle Fragen aufwirft, insbesondere wenn es um menschliche Knochen und Schädel geht. Letztere verkörpern die andauernde Gegenwart der Vorfahren und verweisen auf die Auffassung vom Tod im Wodu, wo die Grenze zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt durchlässig ist.
Das Museum, das sich in einem Gebäude mit räumlichen Einschränkungen befindet und begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung hat, ist sich dieser Herausforderungen bewusst und bevorzugt trotzdem einen respektvollen Ansatz in der Aufbewahrung, ohne sich der Illusion des dauerhaften Fortbestandes hinzugeben. Das Museum hat sich die Dokumentation, die Weitergabe und den Dialog zur Aufgabe gemacht und verbindet so kulturelle, ökologische und interkulturelle Themen. Auf diese Art und Weise trägt es dazu bei, Museumspraktiken neu zu erfinden. Das Château Musée Vodou in Straßburg zeigt so, wie eine vereinsgeführte Institution wissenschaftliche Genauigkeit, Feinfühligkeit und Offenheit zusammenbringen kann, indem es die lebendige, symbolische und kulturelle Dimension seiner Sammlungen wertschätzt.
Die ausgestellten Werke

TODJIHOUN AUF EINEM KROKODIL
20. Jahrhundert
Holz, Pflanzen, Flaschenkürbis, Knochen, Farbe, Seile, Metall, Kaurimuscheln.
H. 39,9cm x B. 107cm x T. 25cm
Inv. Nr.: 1465
Gefördert durch die Société des Amis des Arts et des Musées de Strasbourg
Der Gott Atchakpa besitzt die Macht über das Süßwasser und wird als Krokodil dargestellt. Hier trägt er einen Einbaum auf seinem Rücken und repräsentiert damit die Reise der Wassergeister außerhalb des Wassers.
Papa Dansou
20. Jahrhundert
Holz, Acrylfarbe.
H. 64 cm x B. 46 cm x T. 52 cm
Inv. Nr.: 1142
Gefördert durch die Société des Amis des Arts et des Musées de Strasbourg
Dansou oder Papa Dansou ist ein männlicher Wodu mit ähnlichen Eigenschaften wie Mami Wata. Er hat drei Köpfe wie die Trimurti, die Dreieinigkeit im Hinduismus. Eines seiner Gesichter ist in die Vergangenheit gerichtet, ein anderes in die Gegenwart und ein letztes in die Zukunft.


Mami Wata
20Jahrhundert
Holz, industrielle Farbe.
H. 63 cm x B. 30 cm x T. 28 cm
Inv. Nr. : 0833
Gefördert durch die Bank Crédit Mutuel Saint-Jean
Wodu der Ozeane, des Überflusses und des materiellen Reichtums. Der Name von Mami Wata kommt von Mother Water. Diese Göttin wird oft als Meerjungfrau dargestellt oder als schöne junge Frau, die die Schlange Dan Ayidowédo schwingt. Sie ist eine Ahnen-Gottheit aus Ouidah, Quelle des Überflusses und Verbindung der drei Elemente Erde, Luft und Wasser. Ihr ambivalenter Charakter erlaubt es ihr, Fischer zu beschützen, aber zugleich auch Stürme zu entfachen.
Legba
20 Jahrhundert
Holz, Tierkiefer, Seil.
95cm x B.30cm x T.30cm
Inv. Nr.: 1422
Gefördert durch EFH Distribution
Er ist der Wodu-Bote zwischen den Menschen und den Göttern, wie Hermes. Er ist listig und unberechenbar, tut, was er will, und verändert sogar manchmal die zu übermittelnde Botschaft. So überprüft er die Aufrichtigkeit der Menschen, die ihn um Hilfe bitten. Manchmal wird er mit dem Kopf eines Hundes dargestellt, manchmal auch mit Hörnern.

detaillierte Texte
I) Museen und Naturschutz
A) Museen und ihre Funktion
„Das Museum muss die Weiterentwicklung der großen Reichtümer der Nation an Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen und anderen Kunstdenkmälern darstellen. So wie ich es sehe, muss das Museum Fremde anziehen und ihre Aufmerksamkeit fesseln. Es muss den Menschen die schönen Künste schmackhaft machen, Kunstliebhaber unterhalten und Künstlern als Schule dienen. Es muss der ganzen Welt offenstehen.“
Brief des damaligen französischen Innenministers Roland an den Maler Jacques-Louis David, 17. Oktober 1792.
Diese Ende des 18. Jahrhunderts formulierte Vision legte den Grundstein für die wichtige Rolle, die das Museum in unserer Gesellschaft übernehmen soll. Heutzutage hat sich diese Aufgabe erheblich erweitert und ist breiter geworden. Sie beinhaltet nun neue Dimensionen und Verantwortungen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich Fragen über die grundlegenden Funktionen eines heutigen Museums wie das unsere. Diese Aufgaben, die das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung sind, sind vielfältig: Sie umfassen die Erhaltung des Kulturerbes, die wissenschaftliche Forschung, die Weitergabe von Wissen sowie die kulturelle Vermittlung. Aber bevor wir die konkreten Abstufungen untersuchen, stellt sich zuvor eine Frage: Was ist ein Museum und welche Funktionen hat es? Auf internationaler Ebene hat der Internationale Museumsrat (ICOM) eine zeitgemäße und maßgebende Definition vorgeschlagen: „Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit.“ Diese allgemeine Definition findet in unterschiedlichen nationalen Kontexten konkrete Abstufungen. Im Gegensatz zu einem Großteil unserer nationalen Museen wird das Château Musée Vodou von einem nicht gewinnorientierten Verein verwaltet und ist deshalb von einem fragilen Wirtschaftsmodell abhängig. Heute wird das Museum zu weniger als 10 % durch Subventionen finanziert und muss deshalb durch Ticketverkäufe und Spenden unserer Förderer*Innen und Besucher*Innen unterstützt werden.
National sind die Organisation und der Betrieb von musealen Einrichtungen durch mehrere gesetzliche Bestimmungen und Verordnungen gemeinsam geregelt, die im vierten Buch des französischen Kulturerbegesetzes zusammengefasst sind. Dieses Kulturerbegesetz enthält eine Definition eines Museums und seiner Aufgabe: „Als Museum gilt (…) jede ständige Sammlung aus Gegenständen, deren Erhaltung und Ausstellung von öffentlichem Interesse sind und die zum Zweck der Wissensvermittlung, Bildung und Unterhaltung der Öffentlichkeit organisiert ist.“ In Übereinstimmung mit den rechtlichen Grundsätzen im Museumssektor möchte unser Museum eine dauerhafte Aufgabe erfüllen, die die gemeinsame Grundlage aller Museen in Frankreich darstellt. Diese Aufgabe beinhaltet die gründliche Aufbewahrung, die sorgfältige Restaurierung, die eingehende Erforschung sowie die kontinuierliche Erweiterung der Sammlung, für die wir verantwortlich sind.
Dieses Ziel wird ergänzt durch die Entwicklung und Umsetzung von Bildungs- und Kulturvermittlungsmaßnahmen, die allen Besuchern einen gerechten Zugang zu Kultur ermöglichen sollen. In unserem bescheidenen Rahmen möchten auch wir aktiv zum Fortschritt des Wissens und der Forschung in unserem Feld beitragen. Darüber hinaus ist ein Kulturort wie ein Museum ein besonders geeigneter Träger für die Förderung grundlegender Werte wie Offenheit gegenüber anderen, dem Teilen und Toleranz, womit das Museum über seine begrenzte Funktion der Wahrung von Kulturerbe hinausgeht. In dieser Hinsicht misst das Museumsteam dem kulturellen Austausch eine große Bedeutung bei und arbeitet im Rahmen unseres kulturellen und wissenschaftlichen Programms intensiv mit Forschern, Künstlern, Institutionen und Amtsträger*Innen aus Westafrika zusammen. Letztlich ist ein Museum auch ein Ort der Emotionen, wo sich die Figuren heiliger Kunstobjekte zusammenfinden und wo feinfühlige Interaktionen zwischen den Werken, den Besucher*Innen und den repräsentierten Kulturen entstehen.
Elise Matt-Gehringer
B) Das Depot: Ein unsichtbares, aber unverzichtbares Herzstück
Die Verwaltung der gesamten Sammlung eines Museums stützt sich zum Großteil auf spezielle Räume, die als „Depote“ bezeichnet werden. Diese spielen eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung und der Aufwertung unseres Kulturerbes. Unter „Depot“ versteht man speziell eingerichtete und gesicherte Räume, in denen die nicht öffentlich ausgestellten Sammlungen aufbewahrt werden.
Durchschnittlich werden nur 5 bis 20 % der Objekte eines Museums öffentlich ausgestellt. Der Rest – zwischen 80 und 95 % – wird vor Blicken geschützt im Depot aufbewahrt. Diese technischen Räumlichkeiten sind unabdingbar für ein gut funktionierendes Museum. Sie sind keineswegs unveränderliche Orte, sondern sie sind ein aktiver Teil der Verwaltung, Erforschung und Erhaltung des Kulturerbes. Nicht alle Objekte können dauerhaft ausgestellt werden. Manche sind zu empfindlich, andere passen nicht in die Logik einer Sonderausstellung. Wieder andere warten darauf, erforscht, restauriert oder einfach besser verstanden zu werden. Sie sind im Depot nicht in Vergessenheit geraten, sondern sie sind in einer anderen Form der musealen Existenz, die Teil einer zirkulierenden und langfristig gedachten Logik ist.
Die ständige Ausstellung „Wodu, der etwas andere Blick auf die Dinge“ zeigt 220 Objekte und doch stellt sie nur einen kleinen Teil der Arbogast-Sammlung dar, die aus über 1500 einzigartigen Stücken besteht, die im Château Musée Vodou aufbewahrt werden. Ein bedeutender Teil dieser Sammlung bleibt so im Depot, im Verborgenen und der breiten Öffentlichkeit allgemein nicht zugänglich.
Lebendiges Depot
Depots sind nicht einfach nur passive Lagerorte. Sie ermöglichen die Aufbewahrung und Erforschung von Objekten durch deren Sammlung, Identifizierung und Registrierung sowie deren Verwaltung, um alle Arten der Verbreitung – z. B. durch Ausstellungen, Veröffentlichungen oder Veranstaltungen – zu erleichtern.
Sie müssen deshalb zugänglich, organisiert und aktiv bleiben, damit der schnelle Einsatz der Werke für Forschung, Restaurierungen, Leihgaben oder neue Ausstellungen ermöglicht wird. Es geht darum, mit den Einschränkungen der Objekte, ihren Materialien, dem Zustand des Erhalts, ihren besonderen Bedürfnissen sowie der Bedürfnisse des Museumsteams umzugehen. Es ist eine wahre Kunst, das Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen des Kulturerbes, räumlichen Gegebenheiten und menschlichen Verpflichtungen zu finden.
Außerdem unterhält das Depot eine organische Verbindung mit den Mitarbeiter*Innen des Museums – Verwalter*In, Restaurator*In, Konservator*In –, die sein tägliches Leben gewährleisten. Verwalter*In organisiert die Räume, plant das Befördern von Objekten und sorgt für ihren sicheren Transport. Restaurator*In schaltet sich ein, um Zustandsberichte zu erstellen, schwierige Entstaubungsarbeiten durchzuführen und empfindliche Materialien zu stabilisieren. Was den/die Konservator*In betrifft, so untersucht und dokumentiert er die Stücke und ordnet sie in ihren wissenschaftlichen und kulturellen Kontext ein. Fotograf*Innen und Dokumentalist*innen bereichern die Erinnerung an die Sammlungen durch Fotokampagnen und Inventarisierungen.
Depots sind ebenso berufliche Begegnungsorte, in denen technisches Wissen, materielle Kulturen und lebendige Erinnerung aufeinandertreffen. Sie bieten Raum für Forscher*Inen oder Studenten*Innen, die gekommen sind, um Objekte anzuschauen und zu vergleichen, für Museumspartner*Innen, die gekommen sind, um Stücke als Vorbereitung für Leihgaben zu begutachten, oder auch für Praktikant*Innen, die in Konservierungs- und Verwaltungstechniken ausgebildet werden. So erscheinen Depots wie wahre Orte voller Leben, in denen technisches Wissen, materielle Kulturen und lebendige Erinnerung aufeinandertreffen.
Matt-Gehringer und C. Elsensohn
C) Konservierungstechniken: Jeden Augenblick wachsam sein
Die Arbeit im Depot erfordert zahlreiche präventive Konservierungstechniken, um optimale und stabile Bedingungen für die langfristige Erhaltung der Objekte zu gewährleisten. Diese Techniken umfassen mehrere wesentliche Aspekte:
- Klimakontrolle (Temperatur und ständige Luftfeuchtigkeitsmessung)
- Überwachung von biologischem Schädlingsbefall (Insekten, Schimmelpilze)
- Luftfilterung und Staubschutz
- Wenig oder keine Beleuchtung, um die Alterung von Materialien zu vermeiden
- Geeignete Möbel und Verpackungen (Untergrund, Regale, maßgeschneiderte Kästen)
- Sicherer Handhabungsablauf (Handschuhe, Protokolle, Transport)
Im Château Musée Vodou versuchen wir, all diese idealen Bedingungen zu erreichen. Das ist insbesondere bei einer Sammlung notwendig, die zu einem großen Teil aus organischen Materialien (Holz, Pflanzenfasern, Opfermaterialien) besteht, die extrem empfindlich auf klimatische Schwankungen reagieren.
Das Depot ist ebenfalls ein technisches und wissenschaftliches Zentrum: Täglich finden dort Fotoaufnahmen, Digitalisierung, Restaurierung, Verpackung und Forschung statt. Zu dieser physischen Bewegung der Objekte kommt eine digitale Bewegung hinzu durch eine gründliche Dokumentierung, die sicherstellt, dass die Sammlung nachverfolgt werden kann und nicht vergessen wird.
Letztlich müssen der Standort und die Einrichtung von Depots strengen Sicherheits- und Zugangskriterien entsprechen. Es darf dort keine Risikobereiche geben, während gleichzeitig die Beförderung und die Behandlung der Werke möglich sein muss. Die Beständigkeit der Umwelt bleibt entscheidend, da plötzliche Schwankungen – und nicht ein fester Wert – die größte Gefahr für die verschiedenen Objekte darstellen.
Depots sind wahre Orte der Technik und der Vermittlung, an denen die Objekte und das Team, das für ihren Schutz zuständig ist, konstant miteinander interagieren.
Angesichts solcher Anforderungen an die Konservierung und mit einem Projekt wie dem unseren haben sich uns daher wichtige Fragen aufgedrängt, insbesondere: Wie lassen sich der Zugang zur Sammlung und ihre Sicherheit im Depot miteinander vereinbaren? Um darauf antworten zu können, haben wir beschlossen, die kanadische Methode REORG zu nutzen, die von der UNESCO unterstützt wird und auf zehn Qualitätskriterien für die Neuorganisation eines Depots basiert
C. Elsensohn
II. Kontextualisierung der Sammlung
A) Verbreitungsgebiet der Wodu-Kulte – Geografie des Gebiets „Adja-Tado“
Das geografische Gebiet, in dem die Menschen leben, die die Wodu-Religion praktizieren, liegt in Westafrika entlang der Küste des Golfes von Guinea.
Das Gebiet erstreckt sich bis tief nach Togo und Benin – von sandigen, von Lagunen durchzogenen Küsten im Süden bis etwa 120 bis 150 Kilometer landeinwärts im Norden zwischen dem 6. und dem 8. Breitengrad.
Die Bevölkerungsgruppen, die in diesen Gebieten leben, sprechen Sprachen aus der „Gruppe der Gbe-Sprachen“, die vom Adja-Gbe abstammen. Diese Sprachen haben sich im Lauf des Kontakts mit anderen Bevölkerungsgruppen während der größten Migrationsbewegungen der Adja im 15. und 16. Jahrhundert weiterentwickelt. Die „Gruppe der Gbe-Sprachen“ ist eine Untergruppe der „Kwa-Sprachen“, einer der Zweige der Niger-Kongo-Sprachgruppe.
Das guineische Klima im südlichen Gebiet dieser Länder ist tropisch-feucht und umfasst vier Jahreszeiten: Zwei Regenzeiten von März bis Juli und von September bis November sowie zwei Trockenzeiten von Juli bis September und von Dezember bis März. Im Lauf dieser letzten Trockenzeit weht ein hartnäckiger, trockener und kalter Wind aus der Wüste von Nord-Osten kommend nach Süden: Der Harmattan.
Die Region wird von einem Wassersystem durchzogen, das von Norden nach Süden fließt. Zwischen Togo und Nigeria: Der Haho und der Oti in Togo. Der 350 Kilometer lange Mono, dessen Verlauf einen Großteil der Grenze zwischen Togo und Benin bildet, mündet in Grand-Popo in den Atlantik. Der Couffo speist am Ende seines Verlaufs den Ahémé-See. Der Ouémé ist schließlich der längste Fluss mit 450 Kilometern. Er bekommt mehr Wasser durch den Fluss Zou und hat zwei Mündungen: Eine in der Bucht von Porto-Novo und die andere im Nokoué-See. Diese Wasserläufe spielten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle beim Waren- und Personenverkehr.
Die Lagunen hinter der sandigen Küste sind in einem System organisiert, dessen wirtschaftliche Bedeutung für die im 15. und 17. Jahrhundert dort lebende Bevölkerung entscheidend war. Diese stammte vom Adja Plateau, das sich rund um die heilige Stadt Tado befindet und sich spitz zulaufend Richtung Süden bis dicht zur Stadt Lokossa erstreckt. Dieses System deckt fast die gesamte Länge der Küstengebiete ab (siehe Karten Flüsse und Lagunen).
Landwirtschaft, Eisenverarbeitung, Handel und Jagd waren die vier traditionellen Tätigkeiten, auf denen die Kultur und die Religiosität der Bevölkerung im Gebiet Adja-Tado aufbauten. Tatsächlich führten diese Tätigkeiten jahrhundertelang dazu, dass der Lebensunterhalt durch den Austausch mit benachbarten Bevölkerungsgruppen, die in der Flussbiegung des Niger verteilt lebten, sichergestellt wurde.
Dabei trugen die geografischen Gegebenheiten dieses Gebiets – Klima, Topografie, Hydrografie und Demografie – zur Verlagerung der Bevölkerung sowie der Entwicklung von Handelsformen zwischen den Bevölkerungsgruppen bei, um Zugang zu den großen Handelswegen zu Land und zu Wasser, später zu den Lagunen und mit der Ankunft der Europäer zum Meer zu erhalten.
In diesem Rahmen entwickelten sich religiöse Einflüsse durch den Einfluss von Migration, Machtverhältnissen und Konflikten zwischen Staaten, Einschränkungen (Zugang zu Flüssen und zum Meer, Umgehung von schwierigem Gelände wie Sümpfen, dichten Wäldern und saisonalen Risiken) im Zusammenhang mit dem Sklavenhandel und später mit der kolonialen Ausbeutung der Ressourcen.
JY. Anézo
B) Ursprung, Migration und religiöse Neuzusammensetzung im Gebiet Adja-Tado
Die Stadt Tado, der heilige Ursprungsort zukünftiger Dynastien, die über die Region herrschten, wurde laut Berichten mündlicher Überlieferungen, Schriften der ersten Entdecker und schließlich verschiedener ethnohistorischer Studien aus der Zeit nach Beginn des Kolonialismus zwischen dem 11. und dem 12. Jahrhundert gegründet. Die Adja sollen von einer aus dem Osten kommenden Migrantengruppe abstammen, deren König ein Nachfahre des ersten göttlichen Königs der heiligen Stadt und industriellen und wirtschaftlichen Drehscheibe der Yoruba, Ile-Ife, war. Die göttlichen Könige von Tado, genannt Anyigban fyo, was „König der Erde“ bedeutet, trugen vom ersten bis zum letzten den Namen Adja. Manche Historiker glauben, dass der altvordere Gründer aus dem Songhaїreich im heutigen Niger stammte und seinen Weg über die Yoruba-Stadt Oyo fand, bevor er nach Kétou und dann nach Tado kam. Ein anderer Vorfahr namens Zâ soll sich von Ouagadougou aus in Tado niedergelassen haben. Diese doppelte Migration zusammen mit der Begegnung mit der einheimischen Bevölkerung bildete die Grundlage für die zukünftige Adja-Bevölkerung. (siehe Migrationskarte) Bemerkenswert ist der bedeutende Einfluss der Yoruba auf die kulturellen Grundlagen der Bevölkerung im Adja-Gebiet.
Zwischen dem 12. und dem 17. Jahrhundert begannen die Gesellschaften des Kulturraums Adja-Tado von ihrer Hauptstadt aus einen Migrationsprozess in Richtung der Gebiete entlang der Ost- und Westküste, wodurch neue politische Einheiten entstanden, wie die Königreiche Notsé, Glidji, Ouidah, Allada, Dahomey (Hauptstadt Abomey) und Porto-Novo. Dieser Prozess wurde begleitet von einer Umwandlung der religiösen Strukturen, die auf dem Kult des „Wodu“, kosmischen Wesen, Naturgeistern und als Gottheiten verehrte Ahnen basierte. Die Gottheiten einer Bevölkerungsgruppe wurden durch Aneignung, Handel, Heirat oder Eroberungen zu Gottheiten einer anderen Gruppe.
Diese Bewegungen, die durch die Rivalität von Dynastien, Gebietserweiterungen und ökologischen Druck entstanden, stellten einen Gründungsmoment in der Identitätsbildung dieser Bevölkerungsgruppen dar, die von da an nach ihrer sprachlichen Verwandtschaft in die Gruppe der Gbe-Sprachen, Adja-Ewe und Adja-Fon unterteilt wurden. (siehe Karte Sprachverteilung)
Die erste Begegnung zwischen den Portugiesen als europäische Katholiken und den Adja-Ofla als afrikanische Wodu-Anhänger fand 1472 statt. Bei dieser Gelegenheit gaben die Portugiesen ihre Flagge des „Christusordens“ in die Obhut der Adja-Ofla. Im religiösen Verständnis der Adja ist das Meer ein Ort, der den Toten vorbehalten ist. Daher war es ein großer Schock für sie, dass vollkommen lebendige Menschen vom Süden über das Meer kamen; die darüber hinaus noch weiß waren und daher vermutlich aus den Wüsten im Norden stammten. Dieses gewaltige Ereignis beeinflusste den Glauben dort für immer.
Ab dem 16. Jahrhundert begünstigte die Anpassungsfähigkeit des Wodu-Glaubens seine Verbreitung in Amerika und auf den karibischen Inseln, wo er im Kontext der Sklaverei neue Formen annahm. Durch den Kontakt von amerikanischen Ureinwohnern, europäischen Christen und Brasilianern mit spirituellen Strömungen entstand eine Vermischung religiöser Bräuche. So entwickelten sich auch die religiösen Strömungen des kubanischen Santería, des Vaudou in Haiti, der Umbanda und des Candomblé in Brasilien. Sie alle bewahrten dabei eine starke symbolische Kontinuität mit ihren westafrikanischen Wurzeln.
JY. Anézo
C) „Sammeln bedeutet, von seiner Vergangenheit leben zu können“ Albert Camus.
Die Existenz eines Museums in Frankreich, das westafrikanische rituelle Objekte aus seiner privaten Sammlung ausstellt, wirft zu Recht ethische und politische Fragen auf. Dies ist noch stärker gerechtfertigt, da die Sammlung zum Teil durch eine Leidenschaft für die Jagd entstanden ist. Die Reisen von Marc Arbogast reihen sich in ein koloniales Erbe ein, in dem die Jagd eine Tätigkeit von großer sozialer und symbolischer Dimension war. Von professionellen Safari-Führern geleitete Safaris galten nach damaligen Maßstäben als „verantwortungsbewusst“. Außerdem führten sie eine Vorstellung von Entdeckungsreisen und Ansehen fort, die von berühmten Persönlichkeiten wie Roosevelt und Hemingway inspiriert war. Auch afrikanische Eliten machten sich diese Praxis als Zeichen sozialer Unterschiede zu Nutze und manche boten Jagden als Geschenk an, um geleistete Dienste zu entlohnen.
Auf institutioneller Ebene wurde die Tierwelt als eine Ressource betrachtet, die nach als „wissenschaftlich“ angesehenen Prinzipien verwaltet werden sollte. Diese waren von westlichen Schutzmodellen übernommen worden, auch wenn die Jagd in vielen ländlichen Gebieten weiterhin schwach reguliert war.
Manchmal schlugen internationale Jagdverbände wegen Überjagung und Wilderei Alarm und unterstützten die Errichtung von Schutzgebieten finanziell. Auch heute noch steht die „legale“ Jagd im Mittelpunkt von Debatten. Die Arbogast-Sammlung muss in diesem besonderen soziohistorischen Kontext verstanden werden. Das zur Sprache zu bringen, soll weder eine Wertung noch eine Verurteilung sein, sondern erklären, wie solche Sammlungen zustande kommen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Quellen der Sammlung vielfältig sind: Rückgewinnung ritueller Objekte, die nach Jahren der Christianisierung zu verschwinden drohten, direkte Käufe oder Spenden von Gläubigen, Käufe von anderen Sammlern oder europäischen Kunstgalerien und, seitdem das Museum besteht, Spenden von Nachfahr*Innen von Anhänger*Innen, die dieses Erbe schützen wollen.
Wir möchten als privates Museum, das von einem Verein betrieben wird, darauf hinweisen, dass es für uns sehr schwierig bleibt, mit Sicherheit die Herkunft jedes einzelnen der 1500 Stücke der Sammlung zu bestimmen. Die Erforschung der Herkunft ist langwierig und kostspielig (Reisekosten, Gespräche mit Spezialisten, Zeit für Niederschriften, Beratung…) und jede Feldforschung hat spezifische Herausforderungen: Die Arbeit mit Wodu hat keine Ähnlichkeit mit der Identifizierung von Berberschmuck, der Entschlüsselung von Bestattungsriten in Madagaskar oder der Forschung an Dogon-Masken aus Mali.
Das Konzept der Herkunftsforschung hat nach dem Zweiten Weltkrieg und den von den Nazis geraubten Kunstwerken an Bedeutung gewonnen. Aber vor allem nach dem Jahr 2018 und der Veröffentlichung des Berichts von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy (eine von der französischen Regierung in Auftrag gegebene Studie, die die Rückgabe von Gütern, die während der Kolonialzeit ohne Zustimmung erworben wurden, empfiehlt) wurde diese Frage sehr viel stärker diskutiert. Seitdem haben zahlreiche Museen in Europa Forschungsstellen zur Herkunftsforschung eingerichtet. Ihre Arbeit befasst sich mit ethischen, geschichtlichen und politischen Themen und hat nicht allein die Rückgabe als Ziel: Sie zielt auf eine genauere Klärung des Erwerbskontextes oder eine Zusammenarbeit und eine geteilte Vermittlung zwischen dem Museum und der Gemeinschaft ab.
Ebenso muss man manchmal akzeptieren, dass die Geschichte eines bestimmten Objektes niemals nachvollzogen werden kann. Die Schöpfer dieser Objekte können beispielsweise verstorben sein und ihre Nachfahren erinnern sich nicht mehr an mündlich überlieferte Informationen. Letztlich muss man oft den genauen ursprünglichen Standort des Objektes kennen, um seine Geschichte schreiben zu können: Durch Bevölkerungsbewegungen oder das Verschwinden bestimmter Dörfer ist es nicht mehr möglich, alles herauszufinden.
Auch wenn Objekte manchmal über ihre Herkunft schweigen, so erscheint es uns doch wichtig, nicht nur bei ästhetischen Beschreibungen zu bleiben. Deswegen geben wir uns Mühe, um die Bedeutung der Objekte in der Sammlung zu erklären und sie zu kontextualisieren. Unser Inventar ist dafür ein wertvolles Werkzeug, das uns seit zehn Jahren im Überfluss zur Verfügung steht.
A. Beck
D) „Eine Übersetzung ist günstigenfalls ein Echo“
Dieses Zitat des Schriftstellers Georges Borrow trifft besonders im Château Musée Vodou zu.
Worte zu verwenden, um eine reiche Philosophie und komplexe Religion zu übersetzen, ist keine Kleinigkeit.
Von Beginn an versteht es das Museumsteam als seine Verpflichtung, bei der verwendeten Terminologie besonders aufmerksam zu sein. Tatsächlich ist es nicht leicht, eine Kultur, die tausende Kilometer entfernt aus einer Vielzahl von Sprachen entstanden ist, ins Französische, Deutsche oder Englische (unsere Haupt-Vermittlungssprachen) zu übersetzen. Das betreffende Gebiet beinhaltet mehr als zwanzig Dialektvarianten, die in sechs bis zehn Gbe-Sprachen aufgeteilt sind (Adja, Fon, Gun, Ewé, Gen/Mina…). Zudem muss man hinzufügen, dass all diese Sprachen historisch gesehen eine maßgeblich mündliche Tradition besaßen. Manche von ihnen haben heute eine standardisierte Schriftform: Fon hat in Benin eine offizielle Rechtschreibung, aber beispielsweise Mina besitzt weiterhin nur eine sehr eingeschränkte schriftliche Nutzung. Daher gibt es nur wenige verfügbare Texte für wissenschaftliche Forschung.
Ebenso ist die Herkunft von Objekten entscheidend dafür, auf welche Art und Weise wir über sie sprechen. Wenn eine Wodu-Gottheit aus dem Mina-Gebiet stammt, kann man sie nicht zwangsläufig mit bestimmten Gottheiten der Yoruba gleichsetzen. Manchmal ist die Versuchung groß, das Pantheon und die Praktiken des Kultes zu „synthetisieren“ und zu „vereinheitlichen“. Aber die allgemeine Verbreitung darf nicht auf Kosten der Genauigkeit der Aussage gehen. Der Vermittler, der Anleiter, der Vortragende – wie auch immer er bezeichnet wird– muss diese Übersetzungsethik im Hinterkopf behalten. Daraus folgt, dass ein umfangreiches Wissen erforderlich ist, um über Wodu zu sprechen, ohne ihn zu verfälschen. Deshalb antworten wir manchmal aus Aufrichtigkeitsgründen auch lieber, dass wir keine Informationen haben, wenn uns Besucher eine komplexe Frage stellen.
Die Forschung rund um Wodu und die Entscheidungen, die bei der Erarbeitung unserer Lehrmaterialien getroffen werden, sind daher manchmal willkürlich und zwangsläufig verbesserungsfähig. Sie werden mit dem Wissen und den Kenntnissen, über die wir zu einem bestimmten Moment verfügen, erstellt und verändern sich mit der Zeit, entsprechend unserer Forschung, unserer Reisen, den weltweiten Museumstrends und dem Austausch mit unseren Mitarbeiter*Innen. Manche Begriffe und Bezeichnungen werden verbessert, andere verworfen (als einfache Beispiele dafür kann man die Begriffe „Fetisch“ und „Ethnizität“ nennen, die zu negativ konnotiert sind, um weiterhin in einem Museum passend zu sein).
Wenn man dem schließlich noch hinzufügt, dass im Wodu das „Wort magisch ist“, dann muss man eine spirituelle Dimension mit einbeziehen. Worte haben typischerweise ihre eigene Kraft: Dank ihnen und dank der magischen Gesten und Zutaten bekommen die Objekte ihre Macht. Eine schlechte Übersetzung sollte nicht wie eine Entweihung, Gotteslästerung oder eine Herabwürdigung klingen. Deswegen bevorzugen wir es, unsere Texte regelmäßig intern von unseren Mitarbeiter*Innen übersetzen zu lassen, die sich mit dem Wodu auskennen (und aus zahlreichen Lândern stammen), anstatt dass wir externe Fachleute hinzuziehen
Wenn also unsere Aussprache und unsere Akzente manchmal nicht die besten sind, um über das Wodu-Vokabular zu sprechen, so hoffen wir, dass Sie uns das angesichts all dieser Schwierigkeiten nicht zu übel nehmen.
A. Beck
III. Gekreuzte Blicke
A) Wodu ist überall. Er schlummert, aber er stirbt nie.
Wodu-Götter*Innen sind überall. All diese Objekte erzählen uns vom Alltag von Bevölkerungsgruppen, für die Spiritualität, Magie, Pantheismus und die ständige Präsenz der Ahnen durch Erinnerung jeden Moment bestimmen und jede Handlung des Lebens begründen. Alles wird von der unbegrenzten Kraft des Universums gesteuert, die „Ashé“ genannt wird.
Ambivalente Gottheiten. Wodu-Götter*Innen können den Menschen an jedem Ort und zu jeder Zeit erscheinen. Deswegen ist es für die Menschen entscheidend, diese Phänomene zu steuern, damit sie eher vorteilhaft als nachteilig sind. Die Menschen versuchen, das zu erreichen, indem sie symbolische Bilder erschaffen, die zur Identifizierung der „spirituellen Wesen“ dienen, und indem sie besondere Orte einrichten, die für Gottheitenanrufungen geeignet sind: die „Häuser der Wodu-Götter*Innen“.
Wodu kann kein Objekt sein. Auch wenn das Objekt eine Darstellung der Wodu-Gottheit ist, so ist es doch nicht die Gottheit selbst. Ihre Darstellung an einem bestimmten Ort besitzt eine mystische, dem Objekt verliehene Energie. Es ist dieser aktive Bestandteil, der auf menschliche Worte reagiert – die Ashé –, welcher die Gegenwart der Gottheit offenbaren kann.
Eine Einordnung. Wodu-Objekte sind häufig Gegenstände der mentalen Projektion außenstehender Zuschauer. Da sie die ursprüngliche Intention des Schöpfers nicht kennen, riskieren Zuschauer*Innen eine spekulative Sichtweise. Aus wissenschaftlicher Sicht allerdings können alle Einordnungen je nach den Anforderungen und den besonderen Sichtweisen der Historiker*Innen, Kunsthistoriker*Innen, Theologen*Innen, Anthropolog*Innen, Ethnolog*Innen oder Archäolog*Innen usw. in Betracht gezogen werden. Man teilt die Objekte ein in Forschungsobjekte, Sammlungsstücke oder Kunst und entscheidet, ob sie ausgestellt, weggeräumt oder nur noch zerstört werden. Das macht in diesem Fall die Aufgabe eines/einer Museumswissenschaftlers/in nicht einfacher.
Manchmal schlummert der Wodu. Die Zauber stehen in dieser unsichtbaren anderen Welt zur Verfügung, deren Tore sich nur öffnen, wenn die richtigen magischen Handlungen, Opfer und Worte verwendet wurden. Um das zu veranschaulichen, denken Sie an die Wunderlampe von Aladin aus den Geschichten von Tausendundeiner Nacht. Hier wird der magische Zauber vom Dschinn verkörpert, der seit Jahrhunderten in der Lampe verborgen war und wieder zum Vorschein kommt, nachdem Aladdin an der Lampe reibt. Die richtige magische Geste erweckte den Dschinn und mit ihm all seine Magie.
Objekte als Zeugen.
Die ursprüngliche Intention der „Erzeuger“ dieser Objekte, die eine magische Zusammenstellung verschiedener Materialien sind, besteht nicht darin, ästhetische Emotionen hervorzurufen, sondern vielmehr spirituelle Emotionen zu schaffen und mögliche Interaktionen zwischen unsichtbaren Welten und jenen, mit denen sie Verbindungen herstellen können, aufzuzeigen.
Dass diese Objekte in einem Museum und damit weit entfernt von ihrem Ursprungsort vorhanden sind, wodurch sie ihrer ursprünglichen Bestimmung entgehen, verlangt von uns, dass wir uns immer die Gründe für ihre Herstellung sowie die kulturellen und religiösen Grundlagen, die zu ihrer Entwicklung geführt haben, vor Augen führen. Alle Objekte der Sammlung hätten ohne ihre magisch-religiösen Funktionen und den extremen kreativen Reichtum der Bevölkerungsgruppen, die sie hergestellt haben, nicht existieren können.
Unter diesen Umständen verpflichtet uns das Wesen der Sammlung selbst dazu, unseren Besucher*Innen, die neugierig auf neue ästhetische und kulturelle Erkenntnisse sind, die Grenze zwischen den religiösen Funktionen als Ausdruck tiefen Glaubens und der gefühllosen Darstellung im profanen und säkularen Raum des Museums, dessen ursprüngliche Aufgabe frei von jeglicher Religiosität ist, zu definieren und zu zeigen.
JY. Anézo
B) Die Bedeutung der Rückgabe
Die Debatten über die Rückgabe von Kulturgütern gehen heute über die Gegensätze zwischen ehemaligen Kolonialmächten und Kolonien hinaus. Sie offenbaren eine Vielzahl an historischen, politischen und symbolischen Fragen. Die jüngsten Rückgaben von Frankreich an Benin (2021) und von Deutschland an Nigeria (2022) oder auch die griechischen Forderungen nach der Rückgabe des Parthenon-Frieses veranschaulichen das Ausmaß und die Unterschiede der jeweiligen Kontexte. Diese Debatten werfen auch Fragen im Zusammenhang mit dem Zugang zum Kulturerbe, den Konservierungsbestimmungen und der Art und Weise selbst auf, wie die zurückzugebenden Objekte zu definieren sind.
Das Château Musée Vodou in Straßburg ist aktuell als selbstfinanziertes Vereinsmuseum nicht Gegenstand der Bitten um Rückgabe. Dennoch kann man die Spannungen und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit dem Besitz einer außer-europäischen Sammlung nicht ignorieren. Die Objekte, die Marc und Marie-Luce Arbogast seit den 1970er Jahren zusammengetragen haben, wurden in verschiedenen Kontexten erworben (siehe Sammeln bedeutet, von seiner Vergangenheit leben zu können). Diese Vielfalt macht jede eindeutige Interpretation unmöglich, doch sie erfordert gründliche Nachforschungen zur Herkunft jenseits von behördlichen Dokumenten.
Das Museum behauptet nicht, dass es eine definitive Antwort auf die Frage der Rückgabe geben kann. Es bietet vielmehr einen Raum für Dialog, Hinterfragung und die Bereitstellung verfügbarer Informationen. Denn Rückgabe bedeutet nicht nur die Wiedergutmachung von Ungerechtigkeit, sondern erfordert auch den Umgang mit rechtlichen, politischen und institutionellen Wirklichkeiten, die den betroffenen Gemeinschaften manchmal fremd sind. Die Rückgabe ist nur ein Weg von vielen: Sie kann mit gemeinsamen Projekten zur Fortführung von Dialog einhergehen oder beispielsweise mit der Schaffung von Museen oder Kulturzentren in Afrika, um auch den Zugang zu westlicher Kunst zu fördern, wenn dies gewünscht ist. Ein solcher Ansatz bestünde nicht darin, jemandem ein bestimmtes Modell aufzuzwingen, sondern er würde eine kulturelle Gegenseitigkeit begünstigen, die auf Respekt und Austausch basiert. Das Risiko bleibt jedoch, dass die zurückgegebenen Objekte wieder in schwer zugängliche nationale Strukturen aufgenommen werden, ohne dass sie tatsächlich ihrer ursprünglichen Gemeinschaft zurückgegeben werden und sogar in privaten Sammlungen enden, die den Blicken der Öffentlichkeit verborgen sind.
Im Fall von Wodu-Objekten sind diese Fragen noch einmal komplexer. Manche Objekte gelten als „deaktiviert“, aber behalten eine symbolische Bedeutung. Die Wahrnehmungen unterscheiden sich zwischen Nigeria, Benin, Togo und Ghana: Manche Forscher sehen Objekte als entweiht an, während andere glauben, dass ein Wodu-Objekt immer ein Wodu-Objekt bleibt. Dazu kommt die Angst vor bestimmten mächtigen Objekten wie den Oro-Brustplatten oder den Egungun, die selbst in ihrer Herkunftsregion gefürchtet sind. Ihr längerer Aufenthalt in Europa verstärkt diese Sorge: Manche Gemeinschaften glauben, dass die Objekte ihre Kraft verloren haben, oder dass sie niemals wieder in einen rituellen Rahmen aufgenommen werden können.
Wem sollen die Objekte also zurückgegeben werden, wenn die Meinungen auseinandergehen? Wie soll zwischen den verschiedenen Stimmen vermittelt werden? Diese Objekte sind nicht in der Vergangenheit erstarrt: Sie rufen lebendige Erinnerungen sowie Auffassungen der Welt hervor, die noch heute aktuell sind. In diesem Kontext nimmt das Château Musée Vodou eine einzigartige Position ein: Die eines unabhängigen Ortes, der offen ist für Nuancen, Kritik und andere Stimmen. Rückgabe beschränkt sich letztlich nicht auf eine räumliche Verschiebung: Sie kann auch bedeuten, dass man andere Denkweisen über Zeit, Erinnerung und Weitergabe anerkennt und bereit bleibt, ihnen Gehör zu verschaffen.
A. Niemi und A.C. Gonzalez Palacios
C) Lebendiges aufbewahren? Probleme in der Ethik und der Wahrnehmung
Aufgrund ihrer Beschaffenheit stellen die Objekte des Château Musée Vodou eine ganz besondere Herausforderung für die Aufbewahrung dar: Es handelt sich um nicht nur um belebte Artefakte, sondern auch um Objekte, die aus Lebendigem in all seiner Vielfalt hergestellt wurden – seien das tierische oder menschliche Überreste. So sind Knochen, Schädel, Hörner, Panzer, Federn, Daunen, Haare oder auch Muscheln ein wesentlicher Bestandteil bei der Herstellung ritueller Wodu-Kompositionen. Darüber hinaus ist die Mehrheit der Objekte der Arbogast-Sammlung durch Ablagerungen von Opfermaterialien gekennzeichnet, die sich zuerst übereinander lagern, bevor sie selbst Teil der Objekte werden. Infolge von Zeremonien führt die immer neue Hinzugabe dieser Bestandteile (Erde, Pigmente, Öl, Getreidebrei, Alkohol, Tierblut…) dazu, dass die Objekte des Wodu-Kultes zu „lebendigen“, oder besser gesagt, sich entwickelnden Objekten werden. Nun beendet aber der Übergang dieser Objekte, die für rituelle Zwecke geschaffen wurden, in den musealen Raum de facto die ständige Veränderung, die sie ausmacht. In unserem Depot wie auch in unseren Ausstellungen sind die Objekte deshalb in einem Zustand erstarrt, der keine weiteren Zugaben der Materialien zulässt, die die Objekte nähren sollen. Ihre Aufbewahrung stellt somit aus ritueller Sicht ein Problem in sich dar.
Aus ethischer Sicht stellen sich ebenso Fragen zur zentralen Rolle, die Opfer im Wodu-Glauben spielen. Welche Haltung soll man gegenüber der Verwendung von tierischen Überresten und Blut-Opfern, die zur Ablagerung organischer Materialien führen, einnehmen? Es ist nicht einfach, mit Besucher*Innen, die aus Kulturen stammen, in denen diese Praktiken nicht mehr üblich sind, über das Thema der Tieropfer zu sprechen. Bei genauerer Betrachtung ist diese Art von Ritual tatsächlich in vielen Religionen zu finden, sei es als Opfergaben aus Tierblut, Alkohol, Lebensmitteln, Weihrauch, Kerzen oder Bargeld.
Auch dass die Sammlung menschliche Überreste enthält, wirft zahlreiche Fragen auf. Diese unterscheiden sich deutlich von tierischen organischen Materialien, da sie nicht aus Opferzeremonien stammen, weil Menschenopfer heutzutage kein Teil des Wodu-Kultes mehr sind. Trotzdem ist die Verwendung von Knochen zur Herstellung von Objekten weiterhin eine gängige Praxis, die sich vor allem durch die magisch-religiöse Kraft erklären lässt, die diese den Objekten verleihen. Diese Praktiken müssen dennoch in ihren ursprünglichen kulturellen Kontext eingeordnet werden. Dieser hat eine ganz andere Beziehung zum Tod und zu sterblichen Überresten als der westliche Kontext.
Bei den Knochen veranschaulichen die Schädel diesen Unterschied besonders gut. In der westlichen Vorstellung sind Schädel häufig mit negativen Assoziationen verbunden und ihre Verwendung ist allgemein ein Tabu (auch wenn das nicht immer der Fall war). Im Gegensatz dazu geht die Verwendung von Schädeln in religiösen Wodu-Praktiken und beim Gedenken über ihren rein materiellen Aspekt hinaus. Sie werden im Rahmen von Enthauptungsritualen (die wortwörtlich das Entfernen des Kopfes vom Körper bedeuten) von den Skeletten der Vorfahren abgenommen. Anschließend werden die Schädel gereinigt und dann mit Samen, Kaurimuscheln und Pigmenten geschmückt, um die Menschen zu ehren, denen sie gehörten. In dieser Kultur, in der der Tod als natürliche Fortsetzung des Lebens und als Möglichkeit der spirituellen Erweiterung statt als physisches Verschwinden angesehen wird, sind Schädel ebenfalls ein Mittel, um sich des Schutzes und der Hilfe derer zu versichern, die den Gläubigen vorausgegangen sind, während man ihnen gleichzeitig Ehre erweist. Indem sie zwischen andere stark symbolisch geladene Objekte auf Altäre gestellt werden, sind Schädel eine Möglichkeit, die Gegenwart der Vorfahren hier auf der Erde zu festigen und eine Verbindung zwischen der physischen Welt der Lebenden und der unantastbaren Welt der Verstorbenen herzustellen. Die Schädel der Arbogast Sammlung sind also weit mehr als Objekte morbider Schaulustigkeit. Sie sind Zeugen dieses anderen Blickes auf das große Hinüberschreiten in den Tod.
A. Niemi und M. Mailfert
D) Das Ende der Objekte bedenken
In einer Zeit, in der sich kulturelle Institutionen mit einer Vielzahl an Anforderungen konfrontiert sehen (Anforderungen an das Klima, wirtschaftlicher Druck, gesellschaftliche Erwartungen), definieren sich die Praktiken in Museen neu. Die Idee der Konservierung selbst, die lange Zeit als materielles Fortbestehen der Objekte verstanden wurde, steht heute im Konflikt mit den Grenzen unserer Erde. Das Château Musée Vodou in Straßburg als Vereinsstruktur in einem denkmalgeschützten Gebäude bildet einen bedeutenden und manchmal widersprüchlichen Beobachtungsort für diese derzeitige Neudefinition.
Gegenüber der Endlichkeit der Sammlung stellt die Dokumentierung ein grundlegendes Werkzeug für die Weitergabe dar. Die aktuell laufende Digitalisierung der Arbogast-Sammlung zielt darauf ab, die Lebensdauer der Objekte über ihr materielles Leben hinaus zu verlängern. Doch auch diese digitale Dokumentierung hat Auswirkungen auf die Umwelt. Digitale Alternativen, Server und Netzwerke sind weit davon entfernt, neutral zu sein, und besitzen einen bedeutenden Energieverbrauch. Das Dilemma besteht also nicht in der Wahl zwischen physischen und digitalen Lösungen, sondern darin, mit Kenntnis des Themas das richtige Gleichgewicht zu finden.
Das Museumsgebäude – ein alter, denkmalgeschützter Wasserturm – hat seine eigenen Grenzen: Es ist nicht klimatisiert und schwer umzubauen. Es ist deshalb sehr schwierig, das Gebäude mit international vorgeschriebenen Temperaturregulierungssystemen auszustatten. Diese Diskrepanz zwischen theoretischen Empfehlungen (konstanter Temperatur, kontrollierter Luftfeuchtigkeitsmessung) und der Realität vor Ort führt zu einem ständigen Ringen um Anpassung. Trotz dieser schwierigen architektonischen Rahmenbedingungen hat sich das Museum bemüht, umweltbewusste Entscheidungen zu treffen: Die Verwendung von energiesparenden LEDs, natürliche Regulierung der Luftfeuchtigkeit und lokale Kreislaufwirtschaft bei der Entwicklung und der Herstellung aller Ausstellungsträger.
Darüber hinaus bestehen die Objekte der Sammlung aus lebenden oder leicht verderblichen organischen Materialien. Diese Objekte aus der materiellen Wodu-Kultur sind von Natur aus empfindlich. Ihre „Stabilisierung“ erfordert oft Behandlungen, deren ökologische Kosten hoch sind. Deshalb ist es wichtig, sich die Frage der Absicht zu stellen: Geht es darum, die Objekte als leblose Zeugen vergangener Rituale aufzubewahren, oder darum, ihre Veränderung und ihr Verschwinden zu begleiten, indem man die Weitergabe des mit ihnen verbundenen Wissens wertschätzt? Das Château Musée Vodou hat sich für Letzteres entschieden: Aufbewahrung ohne Verbissenheit.
Das Projekt, das Museumsdepot der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist eingebettet in eine Logik der Transparenz und der Offenheit. Es hinterfragt die Grenze zwischen Aufbewahrungs- und Ausstellungsraum. Das Projekt macht das Depot zu einem hybriden Ort: zugänglich, aber empfindlich; sichtbar, aber eingeschränkt. In diesem Zusammenhang kann man sich die Frage der ökologischen Verantwortung eines Museums stellen: Es geht nicht nur darum, umweltbewusste Konservierungsarbeit zu leisten, sondern auch darum, einen Diskurs zu fördern, der es ermöglicht, das Thema der Ökologie auf der bescheidenen Ebene eines Museums voll und ganz in die öffentliche Debatte einzubringen. Im Laufe des Jahres 2026 plant das Museum Bildungsworkshops über die Zusammenhänge zwischen der Aufbewahrung im Museum und Umweltthemen. Diese sollen unter anderem auf die Einflüsse des Klimas auf Sammlungen sowie nachhaltige Restaurierungstechniken fokussiert sein.
A.C. Gonzalez Palacios und M. Hirica
Schluss
„Worte bauen keine Mauern”. Kratinos
Es ist jetzt elf Jahre her, dass Marie-Luce und Marc Arbogast sich dazu entschieden haben, ein „Museum“ und nicht eine „Galerie“ oder einen „Ausstellungsort“ zu eröffnen. Dadurch haben sie sich selbst die schwierigen Aufgaben aufgebürdet, die mit einer musealen Einrichtung einhergehen. Andere Betriebsmodelle wären im Alltag einfacher zu verwalten gewesen, aber sie wären dem Erbe des Wodu an die Menschheit nicht gerecht geworden.
Die Eröffnung eines Museums war die einzig ehrliche und treu ergebene Option für dieses Erbe, das sie verwahren. Marie-Luce und Marc Arbogast taten dies mit Kühnheit, Wagemut und auf ihre eigenen Kosten. Das Museum hat ihnen keine finanziellen Vorteile verschafft und auch heute unterstützt uns Marc Arbogast noch in schwierigen Momenten. Marie-Luce und Marc Arbogast taten dies aus Leidenschaft und aus Liebe zum Teilen. Der Schutz dieses Erbes und seine möglichst weite Verbreitung durch das Château Musée Vodou sind ein gewaltiges Geschenk an gegenwärtige und zukünftige Generationen. All das hier wäre ohne die unermüdliche Willensstärke und Unterstützung von Marie-Luce und Marc Arbogast nicht möglich gewesen. Wir möchten ihnen an dieser Stelle von ganzem Herzen danken, auch wenn Worte dafür nicht ausreichen.
Im Übrigen spiegelt unser Team die Objekte der Arbogast-Sammlung wider: Es entwickelt sich weiter. Es passt sich an und wird im Lauf der Jahre, der Projekte und der äußeren Einflüsse reicher an Erfahrungen. Es ist der lebende Beweis dafür, dass Museen keine verschlafenen Einrichtungen sein müssen.
Dass wir eine Ausstellung rund um unser Depot und seine Kontroversen machen, ist selbstverständlich unsere Entscheidung gewesen, aber sie hat sich uns auch aufgedrängt. Das lag zuerst einmal daran, dass wir eine umfassende Umstrukturierung unseres Depots begonnen und diese Gelegenheit genutzt haben, um unser Inventar der Sammlung zu vervollständigen. Wir haben mehr als 800 Stunden damit verbracht, unsere über 1500 Objekte zu reinigen, zu restaurieren, zu beschreiben, zu überprüfen und neu unterzubringen. Ob sie nun 10 Gramm oder 30 Kilogramm wiegen, sie alle haben für die nächsten Monate und Jahre ihren Platz gefunden: In unserem besuchbaren Depot.
Weiterhin waren bestimmte Fragen von unseren Besuchern, von Journalisten und von Institutionen zu möglicherweise kontroversen Themen Grund für diese Ausstellung. Wir wollten unsere Antworten, Positionen, Hoffnungen, Wünsche und Grenzen aufschreiben. Dieser Ansatz hat unserem Team ebenfalls die Gelegenheit gegeben, über die Bedeutung unserer Berufe, unserer Werte, unserer Fortschritte, unserer Misserfolge und unserer Geschichte zu diskutieren und nachzudenken.
Dieses Museum ist wie ein Eisberg in einem Eisberg. Die dauerhaft ausgestellten Objekte sind nicht mehr als die Spitze im Vergleich zur gesamten Sammlung. Und diese Vielzahl an Objekten ist nichts im Vergleich zur Flut an Wissen, das wir rund um Wodu zusammengetragen haben. Unsere Arbeit ist dazu bestimmt, mit allen geteilt zu werden – mit Wissenschaftlern, Studenten und Besuchern (deswegen ist unser zukünftiges Online-Inventar so wichtig) –, aber sie wird leider immer noch durch unsere finanziellen Mittel eingeschränkt. Deswegen hoffen wir, dass wir in sehr naher Zukunft unser Inventar durch Reisen in dem Gebiet erweitern und verkannte Objekte identifizieren können. Es ist für uns von grundlegender Bedeutung, dass wir weiterhin mit Akteur*Innen des Kultes (Eingeweihte, Praktizierende) sowie politischen Institutionen der betroffenen Länder zusammenarbeiten. Es ist befriedigend, Zeuge des Stolzes zu sein, den die Hervorhebung des Wodu-Erbes bei manchen Besucher*Innen aus Westafrika hervorruft.
Ein Wodu-Objekt zu identifizieren ist keine einfache Sache und oft gibt es keine eindeutige Antwort bezüglich seiner Materialität. Das Gleiche gilt auch für diese Ausstellung: Es gibt keine einfache oder eindeutige Antwort, weil diese Ausstellung eine Schnittstelle verschiedener Weltanschauungen und Zeiten ist. Sie ist eine Ode an verschiedene Sichtweisen und Glaubensgrundsätze.
Als Akteur*Innen der Zivilgesellschaft werden wir also weiterhin miteinander sprechen und uns austauschen, um die Mauern einzureißen, die uns trennen.
A. Beck